Rechtswissenschaftliche und humanwissenschaftliche Überprüfung von Sachverständigengutachten für das Familiengericht

1.

Ausgangssituation

Da es keine rechtlich verbindlichen Qualitätsanforderungen an Sachverständige einerseits und keine rechtlich verbindlichen Standards für Gutachtenerstellung andererseits gibt, ist ein berechtigter Zweifel an der Verlässlichkeit der Ergebnisse der Sachverständigen gegeben, der durch mehrere Untersuchungen gestützt wird (siehe hierzu ausführlich: Klüber, 1998; Salewski & Stürmer, 2014, S. 27-28; Stürmer, Salewski, Meyer & Meyer, 2015, S. 39-41; Terlinden-Arzt, 1998; Westhoff, Terlinden-Arzt & Klüber, 2000).

Daran hat auch das „Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Gerichtskostengesetzes“ vom 16. Oktober 2016 kaum etwas geändert.

So existiert aktuell ein selbstreferenzierendes System, in dem viele Richter auf die Inhalte der veröffentlichten Entscheidungen, die überwiegend auf Sachverständigengutachten begründet sind, für Kontrollzwecke zurückgreift, um der Individualgerechtigkeit „gerecht“ zu werden. Durch diesen Kreislauf der Bestimmung des Kindeswohls in jedem Einzelfall wird an keiner Stelle sichergestellt, dass die aktuellen und konsensfähigen Erkenntnisse der Humanwissenschaften zum Kindeswohl und die zu seiner Ausfüllung eingesetzten Kriterien berücksichtigt werden und in die Entscheidungsfindung zur Sicherstellung der Individualgerechtigkeit einfließen.

 

2.

Überprüfung von Sachverständigengutachten im Familienrecht

Die Untersuchungen von Klüber (1998), Salewski und Stürmer (2014, S. 27-28), Stürmer, Salewski, Meyer & Meyer (2015, S. 39-41), Terlinden-Arzt (1998) konnten belegen, dass ein Großteil der Sachverständigengutachten im Familienrecht den Anforderungen nicht genügen.

In den Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht, herausgegeben von der Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten 2015 (2015, S. 3-4) werden diese Fachgebiete präzisiert: „Reicht die eigene Sachkunde des Gerichts nicht aus, müssen Sachverständige hinzugezogen werden. Für diese Tätigkeit ist psychologisches Fachwissen (insbesondere aus den Bereichen Familienpsychologie, Entwicklungspsychologie, Pädagogische Psychologie, Sozialpsychologie, Kommunikationspsychologie, Klinische Psychologie, Diagnostik und Intervention) und je nach Fragestellung und Fallgestaltung Fachwissen anderer kind- und elternorientierter Disziplinen wie Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie u. a. m. erforderlich“.

Bei der Überprüfung von Sachverständigengutachten im Familienrecht nehmen wir die vorgenannte Integration humanwissenschaftlicher Erkenntnisse in die juristischen Entscheidungsprozesse vor. Der Entscheider soll mit der von und vorgelegten Untersuchung in die Lage versetzt werden, den Rechtsfindungsprozess zurückzugewinnen und Entscheidungen selber rational treffen zu können, in dem er die Ergebnisse von Sachverständigengutachten besser bewerten und gegebenenfalls abändern kann.

Fragestellungen:

  • Hat das Familiengericht ein Gutachten erstellen lassen, um auf Basis des Gutachtens eine Entscheidung bzgl. Sorgerecht und/ oder Umgang zu treffen?
  • Ist aus Ihrer Sicht das Gutachten mangelhaft und diente dem Gericht nicht dazu, eine kindeswohlorientierte Entscheidung zu treffen?
  • Aus Ihrer Sicht liegt der Gutachter mit seiner Diagnose und Empfehlung falsch bzw. „fachlich daneben“?
  • Wurden aus Ihrer Sicht Zusammenhänge vom Gutachter „verfälscht“ dargestellt?

Wenn Sie eine der oben genannten Fragen mit „Ja“ beantworten, dann kann eine rechtswissenschaftliche und humanwissenschaftliche Überprüfung eines solchen Sachverständigengutachtens sinnvoll sein.

Wir stehen Ihnen jederzeit für das Überprüfen eines Sachverständigengutachtens und gegebenenfalls auch zur Erstellung eines Gegengutachtens zur Seite, wenn das aus rechts- und humanwissenschaftlicher Sicht geboten ist.

 

3.

Literatur

Klüber, A. (1998). Psychologische Gutachten für das Familiengericht. Eine empirische Untersuchung über Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit des diagnostischen Prozesses sowie ausgewählte Aspekte des Kindeswohls. Lengerich: Pabst.

Salewski, C. & Stürmer, S. (2014). Qualitätsmerkmale in der Familienpsychologischen Begutachtung. Untersuchungsbericht. Universität Hagen: Eigenverlag.

Schmidt, A. & Westhoff, K. (2022). Kindeswohl interdisziplinär: Empirische Ergebnisse für die juristische Praxis bei Trennung der Eltern. (2. aktualisierte und erweiterte Auflage) Baden-Baden: Nomos.

Stürmer, S., Salewski, C., Meyer, A.-K. & Meyer, J. (2015). Methodische Qualität und Bindungsdiagnostik familienrechtspsychologischer Gutachten. Kindesmisshandlung und -vernachlässigung, 18, 26-43.

Terlinden-Arzt, P. (1998). Psychologische Gutachten für das Familiengericht. Eine empirische Untersuchung über diagnostische Strategien sowie ausgewählte Aspekte des Kindeswohls. Lengerich: Pabst.

Westhoff, K. & Kluck, M.-L. (2014). Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen (6. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage). Berlin: Springer.

Westhoff, K., Terlinden-Arzt, P. & Klüber, A. (2000). Entscheidungsorientierte psychologische Gutachten für das Familiengericht. Berlin: Springer.